Donnerstag, 5. Juli 2012

Netzausbau mit Bürgerbeteiligung - da geht noch was!

In meiner Rolle als Bloggerin passiert es mir immer mal wieder, dass ich unverhofft ein paar inhaltliche Schubser aus verschiedenen Richtungen bekomme, die dann letztlich in einen neuen Blogbeitrag münden. So geschehen auch bei diesem Thema “Netzausbau und Bürgerbeteiligung”:

Ein Blogbeitrag von Andreas Kühl in seinem Blog energynet.de (“Aufruf zur Bürgerbeteiligung beim Ausbau der Stromnetze“) wurde so intensiv diskutiert, dass ich mich animiert fühlte, dort folgenden Kommentar beizusteuern:
Dieses schöne Wort “Bürgerbeteiligung” sagt alles und gar nichts darüber aus, auf welche Weise die Bürger beteiligt werden sollen. Das kann alles heißen von "Die-Bürger-werden-informiert-und dürfen-Fragen-stellen” bis hin zu “Die-Bürger-werden-in-die-Lage-versetzt-qualifiziert-mitzuentscheiden”.
Letzteres hieße aber, alle Fachleute müssten runter von ihrem hohen Ross und ihr Wissen teilen bzw. dieses Wissen so aufbereiten, dass die Bürger/innen auf ein angemessenes Informationslevel kommen – bevor die eigentliche Mitentscheidungsphase beginnt.
Solche Verfahren sind längst etabliert – sie sind allerdings zeitaufwändig und kosten Geld. Das muss man wollen. Erfahrungsgemäß ist aber die allgemeine Akzeptanz einer so zustande gekommenen Entscheidung in der Bevölkerung sehr hoch.
Es folgte ein zweiter “Kick”: Per Twitter erhielt ich die Anfrage von höchst-spannend.de, ob ich Lust hätte, einen Gastbeitrag zum selben Thema zu veröffentlichen. Ich hatte.

Und dann habe ich mich ein wenig in die Sache vertieft.

Ehrlich gesagt finde ich zwar Bürgerbeteiligung in jeder Hinsicht spannend - im Zusammenhang mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz und dem Netzentwicklungsplan aber fand ich das, was ich bisher dazu gelesen hatte, eher abschreckend. (Wobei ich es selbstverständlich grundsätzlich begrüße, dass die Bundesregierung gesetzliche Regelungen geschaffen hat, die eine Beteiligung der Betroffenen und Interessierten in gewissem Umfang vorschreibt.) Abschreckend, weil die jetzigen Planungsschritte im Zusammenhang mit dem Netzausbau auf einem fachlichen Niveau stattfinden, das es Nicht-Fachleuten so gut wie unmöglich macht, sich qualifiziert an dem Konsultationsprozess zu beteiligen.
Abschreckend auch, weil die öffentliche Beteiligung bereits zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem die später von konkreten Trassenbaumaßnahmen Betroffenen noch gar nicht wissen können, ob sie betroffen sein werden - und deshalb überwiegend auch noch keinen Handlungsbedarf bzw. die Notwendigkeit zur Einmischung sehen. Auch deshalb wird es zunächst auf der Ebene einer Expertendebatte bleiben.

Nun kann man einwenden, dass es zu diesem frühen Zeitpunkt auch noch gar nicht sinnvoll ist, dass sich alle Welt mit dem Netzentwicklungsplan beschäftigt - diese Stunde gehört halt absichtlich den Expert(inn)en. Aus meiner Erfahrung heraus aber könnte sich diese Haltung rächen. Dann nämlich, wenn es zur Sache geht und die Menschen vor Ort mit konkreten Bauvorhaben konfrontiert werden. Wenn der gesamte Prozess des Netzentwicklungsplans bislang an den nun real Betroffenen  vorbeigegangen ist, kann es passieren, dass sich vor Ort Widerstand bildet, der den Wunsch nach Netzausbaubeschleunigung ins Reich der Träume verweist.

In meinem obigen Kommentar habe ich ja zunächst mal eher aus dem Bauch und aus meiner bisherigen Erfahrung heraus geschrieben. Um zu überprüfen, ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege, habe ich mich  mit zwei sehr interessanten Papieren näher beschäftigt: 
  1. Netzausbau ohne Bürger? Die Neuregelungen für den Ausbau von Höchstspannungsleitungen als Vorbild für Bürgerbeteiligung bei Großprojekten”, erstellt von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) 
  2. Energiewende und Bürgerbeteiligung: Öffentliche Akzeptanz von Infrastrukturprojekten am Beispiel der Thüringer Strombrücke”, erstellt von Germanwatch und der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung
Wer sich näher dafür interessiert, aber erstmal nicht gleich beide - recht umfangreiche - Papiere in Gänze lesen möchte: Ich habe die für mich wichtigsten Aussagen in einer Mindmap zusammengestellt, die sie sich hier gern anschauen können:



Interessant ist der unterschiedliche Ansatz zu Beginn: Während die KAS feststellt, dass der Netzausbau der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende ist und damit gleich klarstellt, dass es hierzu keine Alternative gibt, heißt es bei Germanwatch:
"Es kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Netzneubau der einzige Weg ist. Teilweise gibt es technisch machbare und mit Blick auf die Zielsetzung bessere Alternativen. Unter anderem durch den Protest von BürgerInnen rücken diese Alternativen in das Blickfeld von Netzbetreibern und Behörden und ihre Realisierbarkeit wird zum Teil erst deshalb ernsthaft geprüft."
Beide Papiere aber bestätigen - mit unterschiedlicher Gewichtung - dass ich mit meiner Forderung nach frühzeitiger Information der Bürger/innen richtig liege. Germanwatch hebt in ihren Handlungsempfehlungen zudem hervor, dass eine echte Bürgerbeteiligung nur möglich ist, wenn die Informationen so aufbereitet werden, dass sie auch von Laien verstanden werden. (Wer nach Verfahren sucht, die so etwas ermöglichen, wird im “Handbuch Bürgerbeteiligung” von der Bundeszentrale für Politische Bildung fündig.)


Die KAS hebt noch einen weiteren wichtigen Aspekt hervor: Das jetzt gültige Verfahren vernachlässigt die Beteiligung der Kommunen bzw. der Kommunalpolitik - diese aber sind ja wichtige Akteure in der Energiewende und eigentlich unverzichtbar für die Schaffung von Akzeptanz vor Ort. Diesem Manko könnte man mit einer vorgezogenen Öffentlichkeitsbeteiligung („Vorerörterung”) begegnen.


Mein Fazit: Die Ansätze und neuen Wege der frühzeitigen Bürgerbeteiligung beim Netzausbau sind wichtige und ermutigende Schritte. Aber es sind nur erste Schritte - weitere mutigere müssen folgen.

In diesem Sinne: Beteiligen Sie sich! Da geht noch was.