Dienstag, 18. Februar 2014

Aus passiven Zahlen aktive Multiplikatoren machen

oder
Leute, macht mal Twitterpause, wenn ihr nichts (Neues) zu sagen habt!

Das "Cluetrain Manifesto" hat es mir momentan angetan - und ich bin sicher, dass ich heute nicht zum letzten Mal da reingeschaut habe. Der Anlass diesmal sind meine Twitter-Timelines. Eigentlich folge ich ja nur Menschen!, von denen ich beim ersten Eindruck das Gefühl hatte, sie wollten mir tatsächlich etwas sagen. Mittlerweile hege ich Zweifel an meinem Gefühl.
Märkte sind Gespräche.
Die Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus demographischen Segmenten.
So steht es in Satz 1 und 2 des Cluetrain Manifesto. Ah ja. Wenn das aber alle, die irgendeinen der unzählbaren Märkte "bespielen" auch nur ansatzweise beherzigen würden, dann müsste mich meine Twitter-Timeline eigentlich mehr begeistern. Und irgendeinen Markt bedienen wir schließlich alle - auch wenn es dabei nicht direkt um Geld geht. Aber die Märkte der Eitelkeiten, Aufmerksamkeiten, Nichtig- und Wichtigkeiten (von denen ich mich auf keinen Fall ausschließe - im Gegenteil ;-) funktionieren doch genauso wie "echte" Märkte: Eine/r bietet etwas an, jemand anderes holt es sich ab und trägt zur Verbreitung der "Ware" bei.

Aber gerade dieses "Abholen"funktioniert heutzutage eben nicht mehr so einfach  - es sei denn, ich lege Wert auf das Billigste vom Billigsten und weiß, dass da kein Spielraum für Gespräche ist. Denn die würden die Ware ja nur unnötig verteuern.

Menschen wollen angesprochen werden

Alle anderen - unterstelle ich mal - wollen ins Gespräch kommen, mindestens aber angesprochen werden oder anderen beim Gespräch zusehen. Auch wenn sie - wie die Mehrheit der Internetnutzer - schweigt und beobachtet. Sie wollen ansprechende Botschaften lesen.

Wenn das aber so ist, warum twittern dann so viele "Marktteilnehmer" Nichtssagendes, Unvollständiges oder Unverständliches? Weil 140 Zeichen zu wenig sind? Warum dann aber Twitter nutzen? Gibt doch genug andere soziale Medien, die uns mehr Spielraum lassen, unsere ach so wichtigen Botschaften zu verbreiten.

Ach so, ich hab die moderne Welt nicht verstanden und schnalle nicht, dass es ja gar nicht um Inhalte geht sondern lediglich um Zahlen (Wer hat die meisten Follower?)?. Und man außerdem ja irgendwie überall dabei sein muss? Das machen die anderen schließlich auch so und deshalb geht es nicht, wenn man nicht dabei ist?

Twitter schneidet rücksichtslos alles ab, was zu lang ist

Und außerdem hat man ja gar nicht die Zeit, den ganzen Tag auf allen Kanälen präsent zu sein und überall Interessantes - und womöglich noch Unterschiedliches - zum Gespräch anzubieten. Dafür sind doch die technischen Möglichkeiten genial - mit einem Klick einfach überall das Gleiche posten. Automatisch. Blöd nur, dass Twitter wegen der 140-Zeichen-Begrenzung oft das Wichtigste abschneidet, keine Rücksicht auf die Vollständigkeit eines Satzes nimmt und sich gleich gar nicht dafür interessiert, ob der Satz-Brocken in irgendeiner Weise sinnvoll beim potenziellen "Gesprächspartner" ankommt. Auch ist es Twitter egal, wenn ein/e Twitter-Nutzer/in z.B. erst zu Facebook wechseln muss, um sich den Rest der Botschaft abzuholen.

Aber uns kann das doch nicht egal sein. Warum lassen wir das zu und belohnen auch jene, die das ganz bewusst so machen, mit einem Klick auf "Folgen"? Weil wir Nachsicht üben mit denen, die weder Zeit noch Lust haben, sich den zahlreichen Medien und deren Nutzer(inne)n anzupassen - und die uns deshalb auf allen Kanälen mit den exakt gleichen Nachrichten behelligen. Weil wir es aus Bequemlichkeit vielleicht manchmal genauso machen. Auch ich hatte vor einiger Zeit meine Einstellungen auf Facebook so gewählt, dass meine Facebook-Posts automatisch auch getwittert wurden. Bis ich merkte, dass ich viel zu viel Zeit damit verbrachte, meine Posts so zu verfassen, dass sie gleichzeitig in 140-Zeichen-Länge einen Sinn ergaben und so auch den "Followern" auf Twitter eine echte Botschaft boten. Von da an habe ich beide Kanäle unterschiedlich bedient.

Ach, würde sich diese Form der Wertschätzung den Leser(inne)n gegenüber doch überall durchsetzen. Bis dahin werden wir wohl noch damit leben müssen, dass Tweets aus unvollständigen Sätzen bestehen, weil irgendwelche Kommunikation...,

bzw. @von #Teilen @der #Zielgruppe @nicht #verstanden #werden, @weil @sie #ausschließlich @aus #Hashtags @und #Verweisen #bestehen und nicht etwa zum Ziel haben, uns ein Gesprächsangebot zu machen - sondern ausschließlich dafür da sind, möglichst viele #hashtags zu besetzen. (Dieses Verhalten erinnert mich immer an die selbst erlebte Geschichte mit der Website eines Bäckermeisters, dessen Metatags so lange sichtbar waren, bis die offensichtlich riesigen Bilddateien geladen waren und den dahinterliegenden Metatext schließlich verbargen - und bis dahin waren neben den klassischen Schlüsselwörtern wie "Brot, Brötchen, Torten, Kuchen" auch "Sex, Erotik und Flirt" zu lesen. Könnte ja sein, dass man zwar eigentlich lieber Lust auf Sex hat, dann aber den verlockenden Törtchen nicht widerstehen kann und schnurstracks womöglich einmal quer durch Deutschland zu besagtem Bäcker fährt. Das Tragische an der Geschichte: Der Bäckermeister blamiert sich bis auf die Knochen und ahnt es nicht einmal, weil er die Website ausschließlich seinem oberschlauen Webmaster überlässt.)

Auch leider sehr beliebt: Ohne irgendein persönliches Wort bekommen wir einfach nur lapidar mitgeteilt, dass irgendwo anders im WolrdWideWeb etwas Neues geschrieben steht. Der Tweet gibt uns keinen Hinweis darauf, worum es gehen könnte und sieht dann ziemlich mager aus, z.B. so:

http://goo.gl/sA0Q5k

Ziemlich arrogant, oder? Der/die Absender/in scheint offensichtlich darauf zu bauen, dass man alles von ihm oder ihr Kommende grundsätzlich erstmal lesenswert findet.

Auch sehr beliebt: Menschen, denen wir folgen, beglücken uns 23 mal pro Tag mit Retweets - also Tweets von anderen, denen wir nicht folgen und die uns nicht die Bohne interessieren. Hauptsache, man taucht alle 5 Minuten in der Timeline auf.

Warum soll ich Menschen folgen, die mich nerven?

Ja, ich weiß, es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die persönlichen Einstellungen so zu verändern, dass man z.B. Retweets nicht zu sehen bekommt. Auch kann ich mir natürlich persönliche Hitlisten zusammenstellen von Leuten, die mir wirklich was zu sagen haben - und alle anderen ignorieren. Warum aber sollte ich dann den anderen trotzdem offiziell folgen, wenn sie mich nur nerven? Weil das Liebesentzug bedeutet - nach dem Motto: Wenn du mir nicht mehr folgst, folge ich dir auch nicht mehr?

Man mag mich naiv nennen und mir vorwerfen, das Spiel nicht zu durchschauen. Was ich allerdings nur ungern auf mir sitzen ließe. Denn Durchschauen tue ich es schon. Ich habe aber nicht so recht Lust, das Spiel mitzuspielen.

Menschen sind keine Zahlen, aber vielleicht Multiplikatoren?

So, wie ich mich freue über das Gefühl, direkt angesprochen zu werden, so bemühe ich mich, nur dann etwas zu sagen, wenn ich Zeit und Lust habe, wirklich etwas zu sagen - und vor allem im Falle eines Falles auch ein "Gespräch" zu führen. Das ist anstrengender, keine Frage, als überall automatisch das Gleiche zu posten. Aber ich bin überzeugt, dass es auf lange Sicht erfolgreicher ist, erstens die Märkte als Gespräche zu begreifen und zweitens zu realisieren, dass die Märkte aus Menschen bestehen - auch wenn sie sich oft hinter einem Pseudonym verbergen.

Und Menschen möchten nicht bloß als Zahl wahrgenommen werden. Menschen möchten das Gefühl haben, ehrlich und persönlich gemeint zu sein mit den getwitterten Botschaften. So könnte nämlich aus der passiven Zahl ein aktiver Multiplikator werden.

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